Die Sonne aufs Dach - 10 Jahre Solarsiedlung in Bismarck

Es ist gut, dass es die Solarsiedlung "Sonnenhof" in Gelsenkirchen-Bismarck gibt und damit ein deutliches Zeichen für das Solarprofil der Stadt gesetzt wurde. Die Siedlung war die erste Solarsiedlung im Ruhrgebiet. Initiiert wurden Planung und Bau dieser Siedlung durch den Aufruf der damaligen rot-grünen Landesregierung im Frühjahr 1997 zu Bewerbungen für das Projekt "50 Solarsiedlungen in NRW. Es war eine Zeit, in der durch einzelne "Ökohäuser" die technische Nutzung der Sonnenenergie nachgewiesen war (durch den Einsatz von Solarkollektoren für die Warmwassergewinnung und den Einsatz von Solarzellen für die Stromerzeugung). Durch eine breite Anwendung im Wohnungsbau sollten die Herstellungsprozesse optimiert und damit die Preise für die Photovoltaik-Module gesenkt werden.

Die Solarsiedlung "Sonnenhof" ist für die Stadt Gelsenkirchen in verschiedener Hinsicht von großer Bedeutung:

Einerseits wurde damit ein deutliches Zeichen für das Solarprofil der Stadt gesetzt. Gelsenkirchen ist auf dem Weg von der "Montanstadt der 1.000 Feuer" zu einer Stadt für zukunftsweisende neue Energieanwendungen, der "Stadt der 1.000 Sonnen".

Und da ist die fast noch wichtigere Bedeutung dieser Siedlung: Mit den 72 neuen Häusern in der Solarsiedlung wurde deutlich, dass Gelsenkirchen nicht nur Produktionsstandort für Photovoltaik-Module und Solarzellen ist. Mit dieser Siedlung wurde auch in großem Maßstab gezeigt, wie der zukunftsfähige Einsatz dieser Energieform möglich ist und welch hohen Wohnwert diese Häuser haben.

Die Solarsiedlung ist ein "Nebenprodukt" des Wettbewerbs für die Evangelische Gesamtschule, der mit der IBA Emscher Park 1993 durchgeführt wurde. Das städtebauliche Konzept sah neben der Schule lediglich ein Gebiet für weitere Wohnhäuser vor. Doch durch die Option des Solarsiedlungs-Programms ist etwas Neues entstanden, das zum Zeitpunkt des Wettbewerbs nur in groben Umrissen zu ahnen war.

Die Siedlung zeigt auch, mit welcher Phantasie, Qualität und Mobilisierung der eigenen Kräfte hier das neue Ruhrgebiet entsteht und Wege zur Bewältigung der Krise der Montanindustrie beschritten werden. Gesamtschule, Solarsiedlung und viele weitere Projekte sind Teil der Förderprogramms "Soziale Stadt" für die Stadtteile Bismarck. und Schalke-Nord, das mit Bundes- und Landeshilfe sowie örtlichem Management sozial, baulich und arbeitsmarktpolitisch seit 1995 viel bewirkt hat.

Im Stadtteilzusammenhang hatte der Siedlungsbau auch das Ziel, aktive junge Familien mit Kindern in Bismarck zu halten, sie neu anzusiedeln oder wieder hierher zurück zu bringen. Diese Strategie hatte Erfolg, und nicht zuletzt der Verein SOL ist der Beleg für neue Aktivitäten mit Blick auf die Zukunft des Stadtteils und der Stadt.



Städtebau mit einer hohen Nutzungs- u. Ökoqualität

Die am Grünzug Bramkampstraße entstandenen Häuser verdienen nicht nur wegen ihrer technischen Anlagen zur Nutzung der Sonnenenergie Beachtung. Die Einfamilienhäuser sind um einen öffentlichen Grünanger gruppiert, der den zentralen Freiraum für diese Siedlung bildet. Städtebaulich schafft dieser Anger die Verbindung zwischen dem alten Zentrum des Stadtteils Bismarck mit dem beeindruckenden Denkmal des Fördergerüstes von Schacht 9 des Bergwerks Consolidation und der Evangelischen Gesamtschule, die viel zum neuen sozialen Leben beiträgt.

Prof. Peter Hübner und seine Mitarbeiter im Büro plus+ aus Neckartenzlingen haben für den Standort die städtebauliche und ökonomische Machbarkeit der Siedlung nachgewiesen und die Architektur für die fünf Nord-Süd ausgerichteten Hauszeilen im Nordteil entworfen. Der Südteil der Siedlung besteht aus zwei West-Ost ausgerichteten Zeilen, die das Büro Dr. Reiner Götzen aus Ratingen geplant hat. Auf einer Fläche von 3,8 ha ist ein Wohngebiet mit 1,7 ha Nettobauland entstanden (=45%) mit einem hohen Grünflächenanteil von 1,6 ha (=42%) und 0,5 ha Verkehrsflächen (=13%). Die Grundstücke sind durchschnittlich 205 m² groß (150-300m², incl. Garage und Zufahrt).

Die Siedlungsversorgung ist ideal: Direkt neben der Siedlung liegt der Eingang zur U-Bahnhaltestelle "Bergwerk Consolidation", in 7 Minuten ist man von hier aus am Hauptbahnhof Gelsenkirchen (und die Station ist mit Bergwerksbildern des Künstlers Alfred Schmidt beeindruckend gestaltet). Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Schulen liegen in unmittelbarer Umgebung. Selbst die Arena auf Schalke ist nur 4km entfernt.

Das Baugelände war eine städtische Ackerfläche. Doch im Boden lag eine verborgene Altlast. Bis Anfang der 1950er Jahre floss hier der Blackmannsbach. Nach Bau eines Abwasserkanals wurde er mit Hausmüll verfüllt, nach heutigen Maßstäben handelt es sich um eine Altlast, wenn sie bei Ausschachtungen bewegt wird. Dieses Problem musste beim Bau der Häuser mit dem entsprechenden Kostenaufwand beseitigt werden, um ökologisch unbedenkliche Wohnbau- und Freiflächen zu erhalten. Ebenfalls aus ökologischen Gründen entstand eine weitere Anforderung: Das Regenwasser war im Boden zu versickern, um das Grundwasser mit Frischwasser anzureichern und die Kläranlagen zu entlasten. So nehmen die Gründächer einen Teil des Regens auf, die Regenrinnen führen das Wasser zur großen Mulde am Westteil der Siedlung. Leider war es nicht möglich, diese Fläche benutzbar zu lassen. Durch einen Zaun mussten weitere Müllabladeflächen verhindert werden.



Verschiedene Baukonzepte für unterschiedliche Interessenten

Bei der Planung war klar, dass Siedlungsbau im mittleren Preissegment mit ökologischem Anspruch ein Risiko darstellt und auf mehrere Investoren zu verteilen ist. Die Kombination der beiden Bauträger mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund war ideal. Der langjährig in Gelsenkirchen tätige kleine Bauträger Bau+Grund GmbH hatte sich gerade bei dem anspruchsvollen IBA-Bauprojekt Küppersbusch mit guter Qualität und Vermarktung bewährt. Die Interboden GmbH&Co.KG aus Ratingen war durch interessante soziale und ökologische Siedlungsprojekte aufgefallen. Beide haben an den Erfolg dieses innovativen ökologischen Bauprojekts geglaubt. Die Vermarktung der Häuser hat gezeigt, dass es hier Menschen gibt, die ihre Entscheidung für ihr zukünftiges Heim mit dem Einsatz zukunftsorientierter Technik verbinden. Aber- zumindest für diese Region -sind diese Häuser noch kein Selbstläufer und brauchten viel Überzeugungskraft und einen langen Atem.

Die Wohnqualität der Häuser wird auch durch die passiver Nutzung der Sonnenenergie geprägt. Mit günstiger Grundrissgestaltung und großen Fenstern wird die Sonnenwärme aufgefangen. Der hohe Wärmedämmzustand hilft zusätzlich den Energiebedarf zu reduzieren. Die südlichen Häuser erhielten Gründächer die ein behagliches Raumklima in den oberen Etagen schaffen und den Regenwasserabfluss verlangsamen. Die vom Ingenieurbüro Graw eingesetzte Haustechnik ist in vieler Hinsicht mustergültig und zugleich kostensparend im langfristigen Verbrauch für die neuen Eigentümer. Die Siedlung zeichnet sich durch einen hohen Dämmstandard und durch eine solar unterstützte Energieversorgung aus. Der durchschnittliche Heizwärmebedarf der Gebäude liegt 40-60% unter den Anforderungen der damals gültigen Wärmeschutzverordnung von 1995. Aus städtebaulichen Gründen ist rechnerisch eine passive Solarenergienutzung im nördlichen Bereich nur eingeschränkt möglich (West-Ost-Ausrichtung der Fassaden). Die Solarenergie wird in erster Linie über die aktiven solarthermischen und photovoltaischen Systeme auf den Dächern gewonnen. Diese Systeme arbeiten dezentral, für jedes Reihenhaus einzeln, und werden von einem seperaten Gasbrennwertgerät je Haus unterstützt. Die Bau+Grund Haustypen wurden mit giebelständigen Satteldächern in üblicher, konventioneller Mauerwerkstechnik mit einer Putzfassade und einer Unterkellerung errichtet. Die Solaranlagen sind auf die Satteldächer installiert. Es gibt zwei Haustypen mit je 116 und 137m² Wohnfläche, die reinen Baukosten betrugen 870€/m², der Gesamtkaufpreis 203.000 bis 238.000€. Für die Häuser wurden aufeinander abgestimmte Farben vorgegeben, die Faschen der Türen und Fenster sind gelb (=Solarsiedlung). Interessant ist die Gestaltung der Fensteröffnungen: Innerhalb eines Rasters konnten die Erwerber die Öffnungen frei wählen, wodurch eine geordnete Lebendigkeit entstand.

Im südlichen Bereich sind die Gebäude südorientiert und ermöglichen in Verbindung mit einer guten Zonierung der Grundrisse die aktive und passive Nutzung der Solarenergie. Die PV-Systeme dienen gleichzeitig als Verschattungselemente, um einer sommerlichen Überhitzung vorzubeugen. Im Unterschied zum nördlichen Bereich werden die Reihenhäuser im Süden zeilenweise über Energiezentralen mit Strom und Wasser versorgt (Kostenersparnis). Die solarthermischen und photovoltaischen Systeme sind miteinander verbunden und speisen die Erträge in einen gemeinsamen Speicher bzw. in das Stromnetz. Die Interboden-Haustypen haben begrünte Flachdächer und neben einer Putzfassade auch Flächen mit farbiger Holzschalung. Der erste Bauabschnitt ist in Holzständerbauweise ausgeführt, der zweite Bauabschnitt als Massivbau. 4 Hausgruppen sind unterkellert, bei den anderen liegen die Kellerersatzräume neben dem Eingang. Die städtische Emscher Lippe Energie GmbH (ELE) führt ein Energie-Contracting durch. Es gibt 2 Haustypen mit 110 und 140m² Wohnfläche, mit Gesamtkaufpreisen von 180.000 - 219.000€. 6 Gebäude des zweiten Bauabschnitts sind in passiv solarer Bauweise erstellt und unterschreiten damit die Anforderungen der Wärmeschutzverordnung 95 um 60% Sie verfügen zudem über eine Lüftungsanlage mit einer Wärmerückgewinnung.

Der Planungs- und Bauprozess war verhältnismäßig schnell. Die Solarsiedlungskommission beim Bauministerium in Düsseldorf akzeptierte im November 1998 das Konzept. Der Bebauungsplan wurde im Dezember 1998 rechtskräftig. Im Februar 1999 begann die Geländeaufbereitung und Erschließung, im Mai der Bau der Häuser. Das Richtfest mit dem Bauminister war am 14.Oktober 1999. Von Dezember 1999 bis Frühjahr 2001 wurden dann die Häuser der beiden Bauabschnitte bezogen. Ende 2003 wurde ein "Solarpoint" mit Informationstafeln an der Siedlung aufgestellt. Damit werden zur Außendarstellung die wichtigsten Daten der Solarsiedlung vorgestellt, und die zahlreichen Besuchergruppen und Einzelinteressierte können sich informieren.

Die Neueinführung der Solartechnik war nicht ohne Förderung möglich. Aus der REN-Förderung des Landes (Programm "rationelle Energieverwendung") wurden die Photovoltaikmodule und die Solarkollektoren bezuschusst. Vom Bund kam eine zusätzliche Förderung aus dem "100.000-Dächer-Programm" für die Photovoltaik. Der städtische Energieversorger ELE gab jeweils 1.000 € pro Anlage und Haus dazu. Und nicht zuletzt hat die Stadt Gelsenkirchen die Grundstückspreise unter der Bedingung des Einsatzes der Solartechnik besonders günstig gestaltet. Damit wurden die Mehrkosten gegenüber einer konventionellen Energieversorgung zwar nicht vollständig ausgeglichen, das Risiko für Investoren und Erwerber war aber damit deutlich kleiner. Seit Anfang 2000 kam für die Eigentümer durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit der Stromeinspeisungsvergütung ein zusätzlicher Beitrag zur Kostendeckung hinzu. Die Gesamtkosten für die Solartechnik betrugen rd. 860.000 €, die mit 532.000 € gefördert wurden. Es blieb also ein Eigenanteil von 328.000 € übrig, d.h. rund 4.500 € je Haus.

Für die 72 Einfamilienhäuser wurden 440m² Solarkollektoren installiert, die 65% des Warmwasserbedarfs decken (Anforderung aus dem Programm 50 Solarsiedlungen 60%). Es wurden PV-Module mit 88 kWp installiert, die 40% des Strombedarfs decken (Anforderung 30%). Die CO2-Bilanz von 2,9t CO2/Haus/Jahr ergibt 55% Einsparung gegenüber konventionellen Neubauten und 30% gegenüber Niedrigenergiehäusern. Durch den TÜV Rheinland wurde 2000/03 eine Evaluierung durchgeführt, um die ingenieurtechnischen Planungsannahmen zu prüfen. Die wissenschaftliche Begleitung hat die Qualitätsicherung beim Bau unterstützt und lieferte für weitere Solarsiedlungsprojekte wichtige Erkenntnisse. Die Zahlen bestätigen im Wesentlichen die der Planung zugrunde gelegten Daten. Das Nuzungsverhalten ist wie zu erwarten war verschieden. Deshalb sind zukünftig durch die Installateure verständliche Dokumentationen und ausreichende Einweisungen Voraussetzungen für ein ressourcenschonendes Verbraucherverhalten. Der Erfolg der Solarsiedlung in Gelsenkirchen-Bismarck war für die Stadt Gelsenkirchen Ansporn, weitere Siedlungsprojekte zu initiieren.